Dienstag, 2. April 2002

Harter Fall Palästina

(Bernd Krippl, Hussein Musa)

gestern kam der Wind gestern kam der Wind um die Ecke und hüllte mich ein ich fragte ihn leise ob er mich mitnehme nach Hause

Ich hatte mich schon einige Male mit Hussein getroffen. Unsere Gespräche dauerten oft bis in die frühen Morgenstunden. Anfang Februar dieses Jahres, als die atlantischen Tiefausläufer milde Luftmassen nach Deutschland lenkten, den Schnee tauen ließen, und der Regen an die Fenster schlug, standen wir beide in meiner Küche und tranken Tee. Hussein erzählte mir von seiner Reise nach Palästina. Er schilderte mir seine Rückreise, den fast zweijährigen Aufenthalt in seiner Heimat. Er stand vor mir in seinen besten Jahren, mit seinen Jahren, in seinem weißen Hemd, der Mann aus dem kleinen Dorf Kafr Khalil in der Nähe von Nablus. Der Freund mit den milden Augen lächelte. Dann hob er die Arme und seine Stimme und sprach das Gedicht über die Heimat.
So kamen wir überein, die arabische Erzählung, seinen Tatsachenbericht über den Bau der Seilbahn und die anschließenden Ereignisse, zusammen zu schreiben.

„Die Jungs hatten mich hier in Deutschland besucht, die Brüder waren auf der Tourismus Messe in Berlin. Da hatte eigentlich alles angefangen. Einer von ihnen rief mich Samstagnacht an und fragte mich, ob ich Bock hätte, nach Berlin zu kommen. Ich habe ja gesagt, und er wollte wissen, ob ich ein Auto mieten könnte, etwas Vernünftiges. Am nächsten Tag sprach ich mit Sixt und fragte, ob sie einen Wagen für mich hätten. »Was für einen?«, wollte der Vertreter wissen. »Einen Mittelklasse.« »Hab' ich aber nicht. Ich kann dir einen aus der Oberklasse geben, für den gleichen Preis.« In vier Stunden war ich in Berlin und holte die Jungs von der Messe ab. Ja, da verbrachte ich halt die fünf Nächte in Berlin, dann kam das Angebot. Der Boss, der die Idee mit der Seilbahn hatte, fragte mich, ob ich Lust hätte mit ihnen zu arbeiten, da ich ja die Sprache kenne. Die Firma machte viele Projekte, Hotels, ein großes Restaurant und das Verkaufszentrum haben sie gebaut, die Seilbahn kam dazu. Wieder zu Hause wohnen zu können, das ging mir nicht mehr aus dem Kopf.

Wenn es keinen Anlass zum Zweifeln gibt — mein Gott, wenn es keinen Zweifel gibt, das ist es, was ich meine, wenn ich an zu Hause denke. Ich möchte dir daher die Geschichte von dem Schaf erzählen. Oder vielleicht auch die mit der Ziege, weil beide geil sind. Oder von der Kuh, die meine Winterjacke gefressen hat. Wir lagerten die Winterbekleidung im Kuhzimmer, so haben wir den Stall genannt. Die Klamotten und meine Jacke waren in einem großen Koffer oben im Regal. Der Koffer ärgerte die Kuh, und sie stieß mit dem Kopf daran, dass er zu Boden fiel. Dann fraß sie meine Jacke, meine einzige. Der Koffer war voller Scheiße, aber sie hatte nur meine Winterjacke gefressen. Die Jacke war weg, und es wurde Winter. Die Jacke von meinem Bruder wurde übrigens auch angefressen. Da machten mein Bruder und ich mit meiner Mutter einen Einkaufsbummel. Wir bekamen beide neue Jacken. Sie waren sehr günstig, aber meine hatte die Größe XXL. Die passte mir gar nicht, sie wurde für die Zukunft gekauft, nicht für mich. Zu Hause, das sind die Freunde, viele Bekannte und die Verwandtschaft und immer auch die lieben Cousins, unsere Erzfreunde. Zu Hause, das sind natürlich auch die Nächte auf unserer Terrasse. Also mein schönes Zuhause, das, was mir wertvoll ist. Die Heimat ist in drei Sektoren aufgeteilt. Das Land bekam Nummern. A steht für nur palästinensische Autonomie, B für palästinensische/israelische Autonomie, C für israelische Autonomie. Aber weißt du, die Buchstaben, die gehören den Israelis. Wir hatten einen bösen Mann im Dorf. Er hatte wunderschöne Mispelbäume, auf denen tanzten die schönsten Vögel. Die Früchte waren gelb und reif und die waren zum Essen da. Ich kam mit einem Freund an seinem Grundstück vorbei. Die Früchte sind so lecker. Weißt du, was das heißt? Du willst sie essen, aber du weißt auch, dass sie dem bösen Mann gehören. Über die Grenze zu seinem Grundstück, über die kleine Mauer aus Stein, da sind wir rübergeklettert. Ich pflückte zwei Früchte und wollte wieder zurück. Plötzlich kam der alte, mächtige Mann aus seinem Haus. Wir bekamen Angst. Er packte uns mit einer Hand und sagte, dass er uns in den Keller einschließen würde, so lange, bis unsere Eltern kämen, um uns zu befreien. In dem Moment kam unser Arabischlehrer die Straße runter. Er war ein Verwandter, aber ein furchtbarer Lehrer. Die Situation war nun noch schrecklicher. Ach, mein liebes Zuhause.

Zurück nach Deutschland. Ich hatte meine Wohnung abgemeldet und traf meine Vorbereitungen für die Reise nach Jericho, um beim Bau der Seilbahn mitzuhelfen. Frau Weber war meine Vermieterin, eine gute Frau. Eine intelligente Frau, sie hatte nur Bücher. Weil ich nicht wusste wohin mit meinen Möbeln, fragte ich sie, ob sie meine Wohnung möbliert vermieten könnte. Sie gab mir Geld für die Einrichtung, und ich konnte mit dem Packen beginnen.

Ich fuhr mit dem Auto nach Italien und fragte im Hafen von Venedig, ob ich eine Kabine auf dem Schiff nach Haifa bekommen könne. Das Ticket für die Überfahrt mit dem Auto hatte ich schon in Deutschland gekauft. Allerdings ohne Kabine. Die Italienerin am Schalter sagte mir, dass das 350 Mark extra kosten würde. Das war mir zu teuer. Ich fuhr aufs Schiff, die eiserne Luke ging zu. Mein ganzer Körper war todmüde. Ich musste mich unbedingt um eine Kabine kümmern. Ich ging zur Rezeption und fragte dort nach. Der Grieche war ein geiler Typ, er wollte wissen, woher ich käme. Ich ant- wortete ihm: »Ich komme aus Palästina, und ich fahre nach Palästina.« Er sagte nichts, gab mir aber den Schlüssel für eine Kabine. Dafür gab ich ihm jede Menge von meiner weißen Schokolade. Die Kabine hatte vier Betten; ich konnte jede Nacht in einem anderen schlafen, weil manche Griechen weiße Schokolade mögen.

Als ich in Haifa ankam, hatte ich gemischte Gefühle. Meine Papiere waren in Ordnung. Doch die Kontrollen dauerten lange. Nachdem ich mich ausziehen musste, nach der Leibesvisite, erhielt ich endlich mein Visum, das mir erlaubte, mich in Israel für drei Monate aufzuhalten. Ich fuhr mit dem Auto durch Israel. Nach Natania kommt Tulkarem. Tulkarem liegt schon auf unserem Staatsgebiet; ich fühlte mich etwas sicherer. Endlich erreichte ich unser Dorf. Meine Eltern wußten nicht, dass ich zurückgekommen war und freuten sich sehr. »Glückliche Tage«, sagten sie, und weinten vor Freude, dass ich mich entschieden hatte, im Land zu bleiben. Am vierten Tag machte ich mich auf den Weg nach Jericho. Auf der Baustelle war der größte Teil der Arbeit schon getan; nur das Seil fehlte noch, weil die israelischen Behörden Schwierigkeiten machten, wegen des Zolls, oder was weiß ich. Auf dem Bau traf ich drei Österreicher, Franz, Harri und Herbert. Herbert war Elektroniker. Ich sollte mit ihm arbeiten, erst mal. Es war ein Riesenprojekt. Wir schauten uns die ganze Sache an, und er erklärte, wie das alles funktioniert. Wir standen an der Bergstation. Du musst dir das so vorstellen: Als ich ankam, war die Station schon fertig. Sie befindet sich auf dem "Berg der Versuchung", auf einer Felsenplattform, die Bagger und Dynamit freigemacht hatten. Viel Technik hatten sie in den Berg gepflanzt, und dann stand die blauweiße Konstruktion. Die Pfeiler nannten wir Stützen, die höchste ist zweiundsiebzig Meter, auf der bin ich auf dem silbernen Eisen in den Himmel gestiegen. Von dort überblickte ich die Stadt Jericho, den Fluß und das Jordantal. Es war eine Aussicht, für die die Augen nicht weit genug waren. Sie hatten schon fünf Jahre an der Bahn gearbeitet, und Herbert meinte, er wolle mir etwas auf der Stütze zeigen. Es ging um die elektronischen Stifte, die Alarm auslösen, falls das Seil aus der Führung der achtzehn Räder geht. Am nächsten Tag sollte das Seil geliefert werden. Und tatsächlich, es kam. Auf einem großen LKW lag die riesige Trommel, auf der es aufgewickelt war. Es war mir ein Rätsel, wie das Seil in seine Position zu bringen war. Wenn es endlos laufen sollte, dann mussten Anfang und Ende zusammenkommen. Aber wie? Das Seil besteht aus sechs Stahldrähten, die zusammengeflochten sind. Jeder der einzelnen Drähte besteht wiederum aus geflochtenen Stahlseilen. Zwischen Stütze 2 und 3 war eine Bananenplantage, Platz für die Montage. Da wurden vierzig Meter Seil von jedem Ende her aufgeknüpft und dann miteinander verflochten. Dafür ließen sie Hans aus Österreich einfliegen, denn er ist Experte. Mit dreißig anderen Männern verbanden sie die Enden des Seils miteinander. Die Sonne brannte so gnadenlos, dass sich Hans andauernd mit Sonnenmilch eincremte. Auf der Plantage stand eine Hütte aus Lehm. Der Mann, der da wohnte, machte natürlich immer Ärger, aber er hat uns Tee gebracht, obwohl wir viele Pflanzen zertraten. Der Boss gab ihm zur Entschädigung ein paar große Scheine.. Dann kam der Kran aus Tel Aviv, der das Seil auf die Stützen bringen sollte. Die Jungs stellten mich dem Fahrer, der den riesigen Kran schleppte, vor. »Das ist der aus Deutschland, hast du ja schon gehört.« Der Fahrer sprach mit mir, er kam zu mir rüber durch seine Aussprache, durch die hebräischen Worte in seinem gebrochenen Ara-bisch. »Was machst du in Jericho, um Himmelswillen, wo du doch in Deutschland sein kannst!« Aber ich war doch zu Hause, um Gotteswillen! Als der Kran abfuhr, kam einer der Brüder und lud mich zum Familienessen nach Jerusalem ein, wo der Big Boss des ganzen Unternehmens wohnte. Sie nannten ihn el Hadsch. Er war gut zu mir, weil ich seine Kinder in Deutschland bewirtet hatte. Die Berliner Jungs waren zwei seiner fünf Kinder. Sein Charakter und sein Tun ließen in Palästina eine Menge Dinge passieren. Daher konnte er auch die Nächte in Jericho zu einer großen Feier machen, dass die Lichter angingen. Das Beste vom Besten, das Eleganteste der schönen Restaurants, das war DAS ZELT. Modernes in der Tradition der Beduinen, so wurde im Zelt gefeiert und getafelt. Die Atmosphäre war warm und herzlich. Dort lernte ich Ursula kennen. Sie war lustig, sie war süß. Was ich mit ihr gemacht habe, begann immer bevor die Sonne aufging. Ganz einfach aus dem Grund, weil es bereits am Vormittag so heiß ist, dass du kein Pferd besteigen kannst. Ursula war eine junge Frau, die auch etwas erleben wollte. Sie holte mich mit dem Daimler ab, mit ihrem kleinen Silberpfeil, bei dem das Verdeck nach hinten geht, wenn du den Kopf frei haben willst. Der Besitzer des Reitstalls war ein außergewöhnlicher Mann. Er besaß die außergewöhnlichsten Tiere, die besten Pferde im ganzen Land. Er war ein Freund von Jassir Arafat. Ursula stellte mich ihm vor. Ich sagte ihm, wer ich bin, dass ich aus Deutschland kam und für die Seilbahn arbeitete. Er rief den Stallburschen und ließ mir ein Pferd satteln, das er beim Namen kannte. Nun konnte ich mit Ursula reiten. Es geschahen wunderbare Dinge, denn es gibt nur einen Gott.“

Wir hörten die Musik von Fairouz und lachten uns ins Gesicht. Wir waren beide Männer. »Wie wunderbar war denn deine Göttin mit dem Silberpfeil?«, wollte ich wissen. Hussein verzog sein Gesicht zu einer verschmitzten Grimasse, schlug die Hände über den Kopf und krümmte seinen Rücken, dass er aussah wie ein Kobold. »Müssen wir das schreiben?«, fragte er mich. »Nein, natürlich nicht. Ich schreibe, du bist ein guter Muslim und besuchst oft die Moschee. Aber bitte erzähl weiter.«

„Jede Kabine trägt acht Personen. Wir haben zwölf Kabinen. Sie fahren in Dreiergruppen und sind tomatenrot. Die Höchstgeschwindigkeit ist 7 Meter pro Sekunde und die Strecke beträgt 1800 Meter. Die Talstation ist auf 10 Meter, die Bergstation auf 106 Meter und vergiss nicht, Jericho liegt 250 Meter unter dem Meeresspiegel. Ich war der erste, der mit der Seilbahn gefahren ist. Kurz vor der Eröffnung kam ein israelischer Bus mit etwa vierzig Touristen an Bord und hielt auf unserem Parkplatz. Der Touristenführer hieß Udi. Er kam hoch und fragte mich um Erlaubnis, mit der Seilbahn fahren zu dürfen, da er unten an der Station kein Ticket bekommen hatte. Er meinte, dass es sicherlich für die Touristen ein Erlebnis wäre, wenn sie mit der Bahn hoch auf den Berg, wo sich auch das Kloster befindet, fahren könnten. Er arbeitete selbstständig; Tourismus war sein Geschäft. Ich sagte ihm, natürlich ginge das, aber ich müsste vorher das O.K. von meinem Chef holen. Ich ging runter ins Büro und sprach mit ihm. Es war nicht ganz einfach, aber nach einigen Minuten hatte ich ihn überzeugt. So konnte ich letzten Endes entscheiden, ob der Israeli fuhr oder nicht. Ich verkündete Udi die frohe Botschaft und sagte, dass die Seilbahn für seine Kundschaft fahren würde, kostenlos. So sparte er sieben Dollar pro Person. Die Touristen schwebten in die Höhe, Udi gab mir seine Visitenkarte und sagte herzlich: »Ich würde mich freuen, dich in Jerusalem begrüßen zu dürfen.« Wenn ich mich jetzt an den Satz meines israelischen Freundes erinnere, wünsche ich ihn mir von ganzem Herzen politisch, für beide Brüdervölker, ihr verdammten Politiker.

Die Bahn bekam den Strom von den Stadtwerken aus Jericho. Wir hatten selbstverständlich noch unseren eigenen Generator und ein zusätzliches Dieselnotaggregat. Im Emergency Fall, geht nichts mehr, alles steht. Das heißt, man muss die Stütze raufsteigen, und du hakst dich über eine Rolle an den Träger, an ein umgedrehtes T mit doppeltem Querbalken. Mit dem Oberschenkel sitzt man auf dem oberen Querrohr, das zweite Rohr stützt die Knie, damit Balance gehalten werden kann. Na ja, es ist doch klar, dass du im Heiligen Land schwindelfrei sein must, denn Emergency ist bei uns immer der Fall. Ich hatte keine Vorahnung, keine Angst, aber ich war vorsichtig. Vielleicht hatte ich doch eine Ahnung, dass was passieren könnte. Es passierte an dem Tag, an dem wir die Presse eingeladen hatten. Eine israelische, eine palästinensische und eine amerikanische Kamera waren da, um unser Projekt, zwölf Millionen Doller Investition schließlich, zum Prestigeprojekt der ganzen Gegend zu machen. Eine Attraktion, die Groß und Klein bewundern konnte. Es lief eigentlich alles wunderbar. Die Feuerwehr, das Team und die Presse hatten sich schon zurückgezogen, sie wollten etwas Kaltes im Büro trinken. Der Fahrer des Krankenwagens blieb noch als einziger. Er wollte es sich nicht nehmen lassen, von mir Fotos zu machen und mir zu der gelungenen Übung zu gratulieren. Drei Leute sind nötig, um eine Person aus der Kabine mit der Hand abzuseilen. Da ich aber zum Rettungsteam gehörte, der letzte Mann war und keine Person hinunterbringen musste, glaubten sie, dass zwei Hände ausreichten, um mich abzuseilen. Stück für Stück, Meter für Meter, ließ er mich hinab. Ich war zu schwer für ihn, deshalb kam er wahrscheinlich nicht zurecht. Er hat mir zu viel Seil gegeben, es schoss hoch und schlug dann wieder runter. Zwanzig Meter stürzte ich in die Tiefe – und es gibt nur einen Gott.“

Der Regen hatte nicht aufgehört, aber die Nacht war zu Ende. Der Himmel blieb schwarz. Hussein strich sich durch die Haare, richtete sie auf. »Wie ging das weiter?« wollte ich wissen. »Was ist aus dem Projekt geworden, fährt die Seilbahn?«
»Ich erzähle dir das morgen, ich bin müde.« Wir gingen zu Bett. Am nächsten Tag stand er unter der Dusche, als ich den Hahn aufdrehte, um das Wasser für den Kaffee heiß zu machen. Zeter und Mordio im Badezimmer. »Was schreist du, Palästinenser?« Mit dem Handtuch um die Hüften kam er mir entgegen. »Wenn du mein Freund bleiben willst, dreh mir nie das Wasser ab!« Wir tranken den Milchkaffe, verdrückten zwei Brötchen, rauchten, dann erzählte er weiter.

„Im Krankenhaus wurde ich operiert. Die tiefen Fleischwunden in beiden Oberschenkeln wurden genäht und verbunden. Nach zehn Tagen entließen sie mich, obwohl ich noch starke Schmerzen fühlte. Ich hatte Angst, dass die Sehnen nicht wieder zusammenwachsen würden. Sechs Wochen konnte ich nicht auftreten. Die Verletzung am rechten Beinen eiterte, wollte und wollte nicht heilten. Ich konnte nichts machen und lag die ganze Zeit nur herum. Mir wurde klar, dass ich weder bei der Seilbahn noch woanders wieder Arbeit finden würde. Das bedrückte mich schwer. Von der Baustelle hörte ich, dass viele Arbeiter entlassen wurden, die Jungs wollten abreisen. Nur Franz sollte noch bleiben.

Ich war noch nicht wieder gesund, als mich meine Freunde Nael und Luei besuchten. Luei machte gerade sein Abitur. Nael studierte Wirtschaftswissenschaften an der arabischen Universität inBirzeit. Ich saß mit Nael draußen auf dem Balkon. Luei war einkaufen. Der Blick vom Balkon führt von der Hauptstraße weiter ins Land. Die Aussicht war an diesem Tag übel. Wenn das israelische Militär kommt, bedeutet das Stress und später Elend. Die Jeeps waren schon im Dorf, als Luei mit seinem Vater die Straße hinauffuhr. Der Grund für die Soldaten im Dorf war die palästinensische Flagge, die hoch auf einem Strommast in unserem arabischen Himmel flatterte. Luei und sein Vater wurden angehalten. Golan-Soldaten tragen rote Baretts. Sie werden geholt, wenn die Lage brenzlig ist, bzw. wenn sie brenzlig werden soll. Luei wurde von den Rotmützen gezwungen, den Mast hinaufzuklettern, um die Fahne Palästinas abzunehmen. Luei versuchte es zweimal, er war schon fast oben, als seine Kraft nachließ. Beim dritten Versuch jagte ihm der Israeli eine Kugel in den Rücken. Mein Freund fiel getroffen zu Boden. Der Krankenwagen kam schnell, denn wenn das Militär da ist, ist unsere Ambulanz schon vorher da. Sie wissen ja, dass es dann immer viel zu tun gibt. Das Militär zog sich zurück, unsere Flagge blieb oben. Wenn du bei einer Demonstration erschossen wirst, ist das eine Sache, alle schießen auf alle, aber wenn du in deinem Dorf abgeknallt wirst wie ein Hund, ist das etwas anderes. Die jungen Männer im Dorf reagierten und bauten in der Nacht darauf eine Barrikade auf der Jerusalem Straße. Dreiviertel der Straße ist für den Verkehr gesperrt, im letzten Viertel regnet es Steine auf israelische Autos. Entweder das Auto fährt mit Vollgas weiter, oder wenn sie bewaffnet sind, und sie haben fast alle ihre Usis dabei, springen sie raus und schießen dahin, wo sie die Steinewerfer vermuten. Die Aktion rief die Reaktion auf den Plan. Wir bekamen wieder Besuch, dicken Besuch.

Um 4:30 Uhr nachts wurde über die Lautsprecher der Militärfahrzeuge die Ausgangssperre über das Dorf verhängt. Alle Männer zwischen sechzehn und sechzig sollten sich auf dem großen Platz versammeln. Ich musste auch raus auf den Platz. Auf den Knien, vor der Wand, die Hände hinter dem Kopf, mussten wir eine Ewigkeit in dieser Stellung verharren. Wenn man in der Hocke ist, darf man sich nicht rühren, nicht reden. Mein Nachbar flüsterte mir etwas ins Ohr. Bevor ich ihm sagen konnte, er solle still sein, schlug der Soldat zu. Der Schlag in den Nacken war so brutal, dass ich für einige Sekunden das Bewusstsein verlor. Als es wieder kam, kam mit ihm die Demütigung schwindelig und übel. In meinem Kopf war es taub. Gegen Mittag sahen wir den Offizier. Einzeln wurden die Menschen in das Schulzimmer geführt, danach begannen die Verhöre. Dreißig wurden ausgesondert, und wir mußten in der prallen Sonne sitzen, mitten auf dem Basketballplatz. Anschließend wurden wir in einen kleinen Raum unserer Schule eingesperrt. Dreißig Männer auf dem Fußboden. Vor dir einer, hinter dir einer, neben dir rechts, neben mir links eingepfercht. Die Angst hatte auch Platz gefunden, in jedem, in jedem Kopf, in jedem Herz. Ich konnte sie schlagen hören. Meine Schläfen pochten. Ich hob die Hand und winkte dem Israeli, der uns bewachte. »Was willst du?« »Ich hab' dem Offizier etwas zu sagen« »Komm nach vorn! Setz dich zu meinen Füßen.« Ich hockte mich vor seine Stiefel und schaute in die Mündung seiner Maschinenpistole. »Weißt du was für eine Kugel in dem Lauf steckt?« »Nein, du wirst es mir verraten.« »Eine, die dir den Kopf wegbläst.«“

»Und was sagt er morgen zu mir, wenn du mich einlädst, zu dir nach Hause?«, fragte ich Hussein. Pisse ich mir vor lauter Bombenschiss in die Hose, oder begleite ich ihn auf seine Reise in sein heiliges Land? Die Pause meiner Überlegungen wurde lang, bis er mich in die Wirklichkeit zurück holte und weiter sprach.

„Nach einer Weile ging plötzlich die Türe auf, und ein zweiter Soldat kam. Er befahl mir mitzukommen. Er führte mich ab, und wir gingen den Flur hinunter bis zu einem Zimmer. Vor dem musste ich warten. Die Tür stand offen, daher konnte ich sehen, dass drei Offiziere am Tisch saßen. Sie führten die Verhöre. Der, der in der Mitte saß, winkte mich hinein. Er fragte mich nach meinen Papieren, und ich legte ihm mein Laissez-passer vor. Das reichte ihm aus, um festzustellen, dass ich nicht in Palästina wohnte. Ich fragte ihn, ob er mir einen Zettel geben würde, damit ich an den Soldaten vorbei nach Hause gehen könnte. Er gab ihn mir.

Ich war frei, ich als einziger, weil ich das "richtige" Papier hatte, die anderen Menschen blieben gefangen. Lebendige Hinterbliebene. Das Gefühl, das ich mit mir schleppte, als ich die leeren Straßen im Dorf hinunter ging, lastete tonnenschwer. Verräter deines Volkes, hörte ich die Frauen hinter den geschlossen Fentern sagen. Der Mut zum Leben war mir erloschen. Ja, so war das, so ist das hier und jetzt, wenn der August unerträglich heiß ist in Palästina. Zu Hause, du weißt schon, meine Kuh und der Arabischlehrer und natürlich meine Mutter. Entschuldige, wenn du meine Tränen siehst, aber ich habe heute,

als der Wind kam als der Wind um die Ecke kam und mich einhüllte ihn leise gebeten mich mitzunehmen nach Hause“

Informationen zur Seilbahn: hier

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Gratuliere zum erfolgreichen Umzug! :)

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there you go

... na bitte, sogar die Kommentarfunktion funktioniert ;-)) have fun, DocKrippl

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Dr. Bernd U. Krippl
last update: 10.11.24, 16:18
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