Mittwoch, 14. Oktober 2015

1717

Es gibt Menschen, die können mich nicht riechen. Typen, die mich schon zehn Meilen gegen den Wind ausmachen. Sie zeichnen sich nicht dadurch aus, dass sie unbedingt eine feine Nase haben, denn auch so bald sie mich mit argwöhnischen Augen erspähen und entdecken, wissen sie sofort, was zu tun ist, mit mir. Leider bin ich diesem Menschenschlag zu oft begegnet und auch in ihre Fänge geraten. Sie sitzen in den Pförtnerhäuschen, sind Hausmeister oder machen sich wichtig als Security und laufen in ihren Uniformen, für 7,25 € die Stunde, feist und dumm in den Eingangshallen der Kaufhäuser herum. Es kann sich aber auch um den üblen Halbbruder meiner Vermieterin, der in der unteren Etage haust, handeln. Die weibliche Variante liest dreimal meine eingereichte Abrechnung, lässt mich stundenlang im Vorzimmer warten oder stellt mich einfach meinem Gesprächspartner nicht durch. Kurz und mit anderen Worten: wie Hund und Katze, wobei ich der kleine Kater und der Hund die Bulldogge ist. Ich sag das nur, damit Sie sich auf meine Seite schlagen, denn nicht alle Menschen haben Verständnis für meine „Aktionen“. Also gegenüber meiner Wohnung direkt auf der anderen Straßenseite befindet sich die städtisch katholische Hauptschule. Auf dem Schulhof, vor dem Unterricht um acht und in den Pausen, spielen und schreien die Kinder wie verrückt. Die machen so einen Höllenlärm, dass ich rüber gucke, weil ich Angst habe, es könnte etwas passiert sein. Aber dieses Gebrüll ist der einzige Krach, den ich wirklich abkann. Nicht zu ertragen sind die Martinshörner der Bullen, die um vier Uhr nachts mal eben über das Rotlicht der Kreuzung fahren, weil sie keine Lust haben, an der Ampel zu stehen. Das Aufheulen des Antriebaggregates einer 1200ter Kawa bei 9000 Umdrehungen, das dämliche Hupen eines Testosteron gesteuerten Idioten direkt vor meiner Haustür, ist natürlich auch kein Vergnügen. Was mich jedoch richtig fertig macht, das Schlimmste, das Grausamste aller Lärmbelästigungen ist nicht der ultrasonic sound einer Boing, nicht das Knallen des Presslufthammers oder das Heulen der Motorsägen, wenn im Stadtpark der alte Baumbestand abgesäbelt wird, sondern der penetrante nicht enden wollende Krach des Laubsaugers (ich musste nachgooglen, weil ich gar nicht wusste, wie die Scheissdinger heißen). Der Tatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung ist dann gegeben, wenn der Täter, also der Hausmeister der städtisch katholische Hauptschule, wie ein Blöder zu jeder Jahreszeit den ganzen Vormittag und den halben Nachmittag das Laub auf dem Schulhof zusammen bläst, um kurz vor 16 Uhr seine unsägliche Tätigkeit noch einmal aufzunehmen. Ich weiß nicht wie die Fachleiterin Pädagogik auf die dauernde Störung, der ihr anvertrauten Schüler und Schülerinnen, reagiert hat. Ich habe den Hund jedoch schon länger im Visier und weiß ganz genau, wann er Pause macht und wo er das verfluchte Gerät ablegt. Es ist also nur eine Frage der Zeit bzw. der guten Gelegenheit, wann ich ihm das Drecksgerät entwenden werde. Da dies nun ein zukünftiges Ereignis ist, kann ich natürlich nicht darüber berichten. Um also das Verhältnis Hund und Katze zu verdeutlichen, will ich von einem kleinen Vorfall, der schon einige Jahre her ist, erzählen. Mir erscheint es wirklich so, dass Göttingen in den achtziger und neunziger Jahren ein Juwel war. Die kleine Universitätsstadt im südlichen Niedersachsen besaß alles was sich ein romantisches Herz, ein Student, ein guter Bürger, ein Unternehmer, ein Ratsherr erträumen kann. Durch die Stadt schlängelt sich ein kleiner Fluss. Die Altstadt mit Rathaus und Johanneskirche hat viel Charme, mittags fließt der Verkehr langsam und abends füllen sich die Cafés, Kneipen und Restaurants mit Menschen. In diesem hübschen Städtchen also lebte zu der Zeit ein wahrlich nettes Ding. Keck und frisch und frech, aber vor allem lebenslustig. Sie hatte alles wo von doch eine beträchtliche Anzahl junger Männer in der Stadt schwärmten: Apfelpopo, schlanke Taille, einen schönen Busen, der immer frei ohne BH frei wippte und ein Gesicht mit Nase, das richtig betrachtet, wie ein Smiley aussah. Ihre haselnussbraunen Haare waren lang genug, dass sie sie vor dem Spiegel hochstecken konnte. Die Klämmerchen bewahrte sie in einer kleinen Glasschale im Badezimmerschrank auf. Obwohl sie jeden morgen eigentlich rechtzeitig aufstand, inszenierte sie immer einen Aufstand, ein persönliches Chaos, dass sie mit fliegenden Fahnen die Wohnung verlassen musste um nicht zu spät zu kommen. In dem Ärztehaus angekommen organisierte sie dann im Handumdrehen alles, was für einen reibungslosen Ablauf der Gemeinschaftspraxis notwendig war. So weit ich das weiß, waren die Mediziner mit ihr zufrieden und die Patienten liebten sie. Ihr Apartment in einem dreistöckigen, frischgebauten, weißen Haus mit viel Glas und Erkerfenstern, lag in der Altstadt in einem Häuserkarree. Modernes und Historisches harmonierten hier gut. Das Karree umschloss einen Hof, der als Parkplatz diente. Mit Hilfe einer Plastikkarte ging die Schranke hoch und die Anwohner konnten hineinfahren und ihre Fahrzeuge dort sorgenlos abstellen. Obwohl ich ziemlich weit weg wohnte, habe ich doch meine Freundin in Göttingen oft und gerne besucht. An unserem Jahrestag gab sie mir die Schlüssel zu ihrer Wohnung. Anschließend haben wir wie die Wiesel gefickt. In aller Herrgottsfrühe, als sie noch schlief und die Schweißperlen ihrer Träume auf der Haut frisch waren, musste ich los. Ich zog meine Klamotten an, schloss leise die Tür und verließ das Haus. Durch den Park Richtung Bahnhof dann noch zehn Minuten joggen bis ich endlich am Auto war. Das Hin- und Herfahren, von ihr zu mir, von mir zu ihr, war nicht das Problem, da ich dem Hauptverkehr früh oder spät entkommen konnte. Nun trug es sich zu, dass die Stadt sich entschlossen hatte ihr Säckel wohlfeil aufzufüllen, damit später die Kämmerer, dumpf und dumm wie sie sind, das ganze schöne, liebe Geld bei dubiösen Finanztransaktionen mit den Banken verspielen können. Die Taler wandern so aus der Hand der Bürger in die Kassen der Stadt und dann zu den immer riesiger werdenden Unternehmen des Zahlungs-, Kredit- und Kapitalverkehrs. Meinen Obolus musste ich selbstverständlich auch entrichten und mein Geld in diesen Kreislauf, der ja eher einer Sackgasse ähnelt, einbringen. Das geschah folgendermaßen. Die zuständige Behörde für Verkehrszeichen stellte in dem lieblichen Städtchen über Nacht Millionen von Park- und Halteverbotsschilder auf. Als die noch verschlafenen Bürger am nächsten Morgen zur Arbeit wollten, fanden sie an den Windschutzscheiben ihrer Autos die Strafzettel. Heerschaaren von blau uniformierten Politessen, die jedes Gässlein, jede Straße, jeden Platz patrouillierten, sorgten dafür, dass bis zum Feierabend keiner und keine ungeschoren davon kam. Meine Liebesgeschichte mit meinem lieben Mädel kam mich bald teuer zu stehen, denn ich bekam so viele Tickets, dass ich damit die Wände hätte tapezieren können. Weil wir aber sehr ineinander verknallt waren und ich aus finanziellen Gründen nie eine Liebesromanze, eine Liebesbeziehung oder eine Liebesaffäre beenden würde, musste ein Ausweg gefunden werden. In einer stürmischen Herbstnacht fuhr ich wie ein Besessener durch Göttingen auf der Suche nach einem Parkplatz. Nicht die Erwartung sie wieder zu sehen trieb mich zur Raserei, sondern dass ich schon über eine Stunde in der beschissenen Stadt meine Runden drehte ohne Aussicht auf Erfolg, meine Karre irgendwo legal abstellen zu können. Spät nach Mitternacht stand ich mit wischenden Scheibenblättern, vollem Gebläse, laufendem Motor im strömendem Regen vor dem geschlossenen Parkhaus. Mit Wut, dem Gefühl der Verzweiflung und der Hilflosigkeit drehte ich noch eine Runde. Dann fuhr ich ohne Umwege direkt zu ihrer Wohnung in die Lange-Geismar-Straße. Um auf den Hof des Karrees zu gelangen, muss man von der Langestraße her anfahren, um auf den Anwohnerplatz einfahren zu können. Aber dazu braucht man, wie gesagt, eine kleine Pin Karte, damit die Schranke sich öffnet. Ich machte die Scheinwerfer aus, stellte den Motor ab, stieg aus und schlich vorsichtig wie ein Einbrecher entlang der Häuserzeile. Zwei Einstellplätze waren frei. Was tun? Was mache ich, hier kann ich so wie so nicht parken. Hier ist deine Schranke. Frust und Adrenalin stiegen erst langsam in mir auf, zirkulierten, breiteten sich im ganzen Körper aus und schossen mir dann heiß in den Kopf. Ich kenn das Gefühl, diese ausgelöste Emotion, die Aggression, die durch keinen Männerverstand zu bremsen ist. Ich wollte wie im Actionfilm einfach durch, ich wollte, dass es kracht und die Glassplitter durch die schwarze Luft fliegen. Ein Lichtfenster ging an und stoppte mich. Ich rühre mich nicht, verharrte, wartete einige Momente und ging dann langsam und unschlüssig zurück. Ich probierte noch die Schranke einfach nach oben zudrücken, aber sie ließ nur einen kleinen Spielraum bis zur Sperre. Frust und Adrenalin stiegen wieder langsam auf, breiteten sich im ganze Körper aus und schossen heiß in den Kopf. Ich kenn das Gefühl, die Aggression. Mit beiden Händen umfasste ich den Schlagbaum und drückte wie im Kraftraum des Sportstudios die Stange nach oben. Wow! Fahr dich runter, bleib cool. Du weißt was zu tun ist. Ich drehte mich um, schaute nach oben und sah die Barriere, wie sie rotweiß in die Dunkelheit ragte. Sie blieb in der Position. Ich ging zum Auto kurbelte das Seitenfenster runter, nahm den Gang heraus und löste die Handbremse. Dann drückte und schob ich das Auto geradeaus auf den freien Abstellplatz. Die Schranke musste wieder runter. Mit dem Abschleppseil aus dem Kofferraum ging auch das. Die Nacht im ihrem Bett war wie ein leichter Federtraum. Meinen kleinen Trick konnte ich einige Wochen spielen. Alles lief glatt, alles war bestens, zum einen weil der Einstellplatz der Firma Möller Heizung Sanitär & Lüftung nicht belegt war, die Handwerker waren ins Industriegebiet etwas außerhalb der Stadt schon vor Wochen umgezogen und zum anderen, weil ich sehr vorsichtig war und riesen Schwein hatte, dass mich niemand beobachtete. Es gibt Menschen, die mich gar nicht kennen und doch wissen, dass ich es bin. Es war an einem Vormittag, meine große kleine Liebe war wohl seit Stunden schon mit Patienten, Röntgenbildern und Terminabsprachen beschäftigt, als ich nach dem Duschen und Rasieren die Wohnungstür hinter mir zu zog und das Treppenhaus hinunter lief. Ich war schon fast zum Hof hinaus, als er da stand und auf mich wartete. Er füllte den ganzen Rahmen der Hintertür aus und versperrte mir die Flucht. Knurrender Hofhund, Bulldogge, Wärter, Ordnungshüter alles in einem. Mit fletschenden Zähnen fiel er mich sofort an. „Ich hab dich gesehen, du kommst mir nicht davon! So was gibt’s doch gar nicht! Das ist mir noch nicht untergekommen! Das sind alles reservierte Einstellplätze für die Bewohner des Hauses. Die zahlen jeden Monat Miete. Was machst du denn eigentlich hier? Untermieter gibt es bei uns nicht.“ Er musste Luft schnappen. „Ich ruf die Polizei, dann wollen wir doch mal sehen!“ Leugnen, Erklärungen oder ein Eingeständnis waren ausgeschlossen. Er hatte mich verurteilt, nur das Strafmaß musste noch festgelegt werden. „Ich werde jetzt den Abschleppdienst anrufen, das Auto muss sofort vom Hof! Das wird richtig teuer.“ Er wurschtelte in seinen Hosentaschen, ließ mich dabei nicht aus den Augen und zog dann einen Monsterapparat von Handy hervor und tippte umständlich auf dem Ding herum. „Versuch bloß nicht abzuhauen! Ich kenn dich ganz genau.“ Während er auf eine Verbindung wartete, fragte ich ihn: „Und wer sind Sie und was wollen Sie von mir?“ Er ließ die Hand, in der er das Handy hielt, sinken. „Komm mir nur nicht so, Bürschchen.“ Er schnappte über. Nur die Stimme, die jetzt aus dem Hörer kam, hielt ihn davon ab, sich auf mich zu stürzen und mich zu Hackfleisch zu verarbeiten. Als er die Angaben ins Telefon brüllte, zwängte ich mich an ihm vorbei und stieg in mein Auto. Er kam direkt hinter mir her und platzierte sich wie ein Koloss vor die Schranke. Vivaldi im Radio war gut, doch die CD von Jimi Hendrix eignete sich besser. Ich ließ beide Seitenfenster runter und drehte auf max. Als der Abschleppwagen vorfuhr, war meine Strategie klar. Ich gab dem Hofhund den Vortritt, ließ ihn mit dem Fahrer sprechen. Dann sprang ich aus dem Auto und in einem Satz in das Führerhaus. Den zerknüllten Hunderter glätte ich und legte den Geldschein demonstrativ auf die Mittelkonsole. „Könnten Sie vielleicht, sobald die Schranke oben ist, wieder ein Stückchen zurücksetzen? Das wäre sehr nett von Ihnen.“ Er schaute den Hausmeister an, beäugte mich, grinste und steckte das Geld ein. Noch bevor der Bullbeißer schnallte was abging, schoss mich mein schwarzer BMW durch die Lücke in die Freiheit. Ich hatte gekocht, den Tisch gedeckt, Kerzen angezündet und schaute ihr beim Glas Wein tief in die Augen. Wieder ein romantischer Abend in der Lange-Geismar Straße. „Sag mal, mon amour, könntest du nicht mal eine Parkkarte besorgen? Du wohnst doch hier. Ich hab schon jede Menge Knöllchen.“ „So was doofes, das hab ich total vergessen, ich hab doch eine von dem Heizungsfritzen. Der Kode ist ganz einfach, 1717.“ Ich hab ihn abgepasst. Ich sah ihn auf dem Hof herumgehen. Als er mein Auto vor der Schranke erkannte, blieb er wie erschlagen stehen. Er ging in den Schuppen, kam wieder heraus und ging langsam auf mich zu. Bevor der Spaten in seiner Hand auf mein Dach schlug, tippte ich die 1717 und wie von Geisterhand öffneten sich die Schranke und sein verdammtes Maul.

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sahne!

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Dr. Bernd U. Krippl
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